monika m. seibel


            
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Sybille Garrels, M.A.:

In einer Zeit der Überflutung durch Bildeindrücke, ...



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... darin mitten in einer geradezu unüber­schaubaren Fülle an Photoliteratur, scheint es für den heutigen Menschen von besonderer Bedeutung zu sein, sich auf die Suche nach dem Verbindenden und dem Trennenden der Phänomene Kunst und Photographie zu machen. Dazu gibt es etwas in den Mittelpunkt zu stellen und zu fordern: das einführende und sensible Sehen von Bildern jeglicher Art.

Bildsensationen überfallen, erschlagen und betäuben uns Zeitgenossen von Tag zu Tag. Alles Bild-Sehen wird von der agressiven Buntfarbigkeit, von den attraktiven Reizwahr­nehmungen, von den riesigen , imponierenden Dimensionen überwältigt.

Technik, Farbreiz, thematische Freizügigkeit, alles überrascht heute und soll überraschen, aber Möglichkeiten photographischen Ausdrucks zu zeigen, das hat ein ganz anderes Ziel. Es bedeutet den Betrachter zu bewegen, sich in ein Bild einzusehen, es in allen seinen Qualitäten zu erkennen und in allen seinen Mitteilungen wahrzunehmen.Voraussetzung dazu ist, mehr Überblick, mehr Wissen und mehr Verstehen. Die Photographie erzeugt wie alle Bildkünste es tun, immer Bilder-sehr unterschiedliche und in ihrer Art sehr mannigfache, immer aber Bilder. Die dem Menschen gegebene besondere Fähigkeit der Bildwahrnehmung bedeutet neben dem Funktionieren des Gesichtssinns, die Farb- und Helligkeitswahr­nehmung der Augen, die Fähigkeit zur psycho-physischen Wahrnehmung. Dieser komplexe Vorgang, der aus den eingetroffenen Impulsen selektiert, lässt eine Bildvorstellung entstehen, die sich zu emotionaler Wirkung verdichtet, die tiefgreifende Empfindungen hervorruft.

Das Selektieren geschieht keineswegs bewusst; unbewusst wird von der tiefen Schicht der Persönlickeit her entschieden, was zur Wahrnehmung gelangt. Man kann es knapp formu­lieren: Der Mensch sieht nur, was in ihm ist. Viele Künstler haben über dieses Phänomen nachgedacht, viele haben ihre Gedanken dazu geäußert. Bereits 1799 schrieb William Blake in einem Brief:

„Der Baum , der einen zu Freudentränen rührt, ist in den Augen der anderen der anderen nur ein grünes Ding, das im Wege steht. Manchem erscheint die Natur ganz lächerlich und verbildet, mancher sieht überhaupt kaum die Natur. Aber den Augen eines mit Phantasie begabten Menschen ist die Natur selbst Phantasie. Wie ein Mensch ist, so sieht er.“

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, deutlich zu sagen, dass ein Üben, ein Vertiefen, ein Aufnahmefähig-Machen, das Sensibilisieren des Menschen gerade in unserer Zeit der Reiz­überflutung bedeutungsvoller denn je zuvor geworden ist.

Was Bilder bewirken, ist sehr unterschiedlich, wird doch die gesamte Skala des mensch­lichen Denkens und Empfindens durch optische Informationen angesprochen.

Die Wirkung betrifft den ganzen Menschen von seinem Intellekt bis hin zu den rätselhaften Visionen des Unbewußten und des Traums. Die Vielschichtigkeit des Menschen kann wohl, sie muss aber keine Konflikte bewirken. Ziel ist es, die verschiedenen Schichten abzu­stimmen, Kunst kann einen Beitrag zur Balance leisten. Kunstschaffen ist eine Art, über das Leben nachzudenken. Nachdenken ist aktiver als bloßes Betrachten, es ist ein Wille, die Wirklichkeit zu sehen, sich in sie zu vertiefen, an ihrer Entdeckung und an ihrem Verständnis mitzuarbeiten.

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Die Photos von Monika M. Seibel sind ein hervorragendes Beispiel dafür. Sie arbeitet wie Komponisten, in Variationen. Sie schafft eine Reihe von Werken -Sequenzen- die sich nur in Details von einander unterscheiden. Es ist überraschend zu sehen, wie eine kaum wahr­nehm­bare Veränderung, ein ganz leichter Farbwechsel, eine Änderung von bewußt einge­setzter Schärfe und Unschärfe, ein Wechsel von nah und fern, von Licht und Schatten sofort ganz verschiedene sinnliche Zustände ausdrückt. Der unendliche Reichtum an Möglich­keiten, an Variationen, von denen wir hier an den Wänden nur einen kleinen Ausschnitt sehen, ist faszinierend. Die gesamten Sequenzen finden sich in den edlen handgefertigten Kästen im DinA 4 Format und in den kleinen Büchern, die käuflich zu erwerben sind. Jedes ihrer Photos besitzt eine eigene Individualität, ist ein Stück Wirklichkeit, das sich selbst genügt. Wir als Betrachter sind dazu aufgefordert, mit Achtung, geistiger Sammlung und Konzentration auf die Arbeiten zuzugehen. Was in den Photos von Monika M. Seibel zur Darstellung kommt, läd ein zum Verweilen. Ihre Art Objekte und die Natur zu sehen, das alles wirkt wie eine Entdeckung, berührt in seiner zeitlosen Ruhe. In ihren Bildern liegt Poesie, sie sind anders als das, was man so allgemein zu sehen bekommt. In einer Zeit, in der jeder einen Photoapparat besitzt, in einer Welt, wo die Medien den Markt mit künstlerisch gestalteter Photographie überschwemmen, wo fremde Länder mit dem Umblättern einer Seite entstehen und vergehen, wo das Fernsehen ein Ereignis, ein paar Sekunden, nachdem es geschehen ist, schon wiedergeben kann. In einer solchen Zeit bieten die Bilder dieser Künstlerin etwas Besonderes. In ihren Bildern liegt Geheimnisvolles. Sie sieht den Zauber an Dingen, an denen viele von uns wahrscheinlich achtlos vorübergehen, zeigt uns die verborgene Schönheit der einfachsten Dinge in beeindruckender Vielfalt. Sie ist eine Schatzfinderin, wie Pippi Langstrumpf, die keine Schatzsucherin war.

Schauen wir uns doch hier im ersten Raum einmal um. Am Kopfende „identified object“, eine Plastikhülle über einem Heuballen, hier in Hilden. Ein farblich leuchtendes Objekt vor dunklem Himmel, das mich in den Bann zieht. Die Falten in ihrer Bewegtheit erinnern an barocken Faltenwurf bei Kleidungsstücken. Die grüne Farbe erstaunt mich sehr, so habe ich solche Hüllen noch nie gesehen, aber Monika M. Seibel wohl vielfach, wie wir in dem Photobook „abstraktionen“ sehen können. Hier zeigt sie Bearbeitungen des Themas Viehfutter in Hüllen, deren Grün ein Faszinosum darstellt, auch hier wieder unterschiedliche Schärfe-Unschärfe Bereiche, die den geheimnisvollen und zauberhaften Ausdruck der Arbeiten bewirken.

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Die Photosequenz „die schöne hülle“ bringt uns nahe, wie die Künstlerin Plastikfolien, die in Treibhäusern zur Vorbereitung von Pflanzungen drapiert oder nach getanem Werk als Abfall beiseite gelegt werden, zum Sprechen bringt. Licht und Schatten, Licht und Lichtreflexe lassen wiederum zauberhafte, geheimnisvolle Werke entstehen.

Das Thema „hafen“, ihre erste Serie 2000, deren Titel „absent sea“ lautet, begenet uns hier in verschiedenen Varianten. Wir sehen die große Arbeit- eine Boje mit Anker und Tuch und drei Photos mit Bojen, die normalerweise zur Sicherheit der Flußschifffahrt dienen, am Hafen ruhen.

Die „verhüllungen“ der Häuser kennt jeder, der an Baustellen vorbei gegangen ist. Aber wer nimmt sie wirklich detailliert wahr? Man registriert den Anblick und sieht nicht genau hin.

Anders Monika M. Seibel. Ihr geschulter Blick entdeckt Dichte und Transparenz, die Bewegung der Folien, die durch den Wind hervorgerufen wird, die kräftige Farbe neuer Folien, die Verwitterung und Verblichenheit alter Hüllen, die das Vergehen jeglicher Materie und auch jeglichen Lebens versinnbildlichen.

Das gleiche Motiv -Verwitterung- sehen wir bei der Sequenz „babylon“ von Folien umhüllter Dung mit Reifen beschwert. Die Folien zerrissen, die Reifen verrutscht, aber wir sehen noch mehr. Aus diesem Berg des Vergehens entsteht neues Leben, brechen kleine Pflanzen hervor. Werden und Vergehen, ein zentrales Thema jeder Kunst.

Der Titel „memento“ einer Sequenz im zweiten Raum verweist darauf. Zu den Arbeiten in diesem hinteren Raum und Vorraum möchte ich jetzt nicht mehr viel sagen.

„diario di venezia“, bzw. „fremde haut“, „memento“, „luxus“ und „mündung“ sind Sequenzen, deren wunderschöne Farben, das Spiel von hell und dunkel. Licht und Schatten, scharf und unscharf, nah und fern für sich sprechen. Monika M. Seibel zeigt mit ihren Arbeiten, dass Photographie nicht mehr nur dem Sichtbaren allein verpflichtet ist, sondern dem Geistigen voll geöffnet ist. Ihre Kunst ist Botschaft, ist Entdeckung „neue Wirklichkeit“. Sie zeigt, dass Photokunst ein unendliches Feld des Schöpferischen darstellt. Es hat den Anschein, dass ihre Fähigkeiten noch längst nicht ausgeschöpft sind. Der Künstlerin und ihrer Ausstellung wünsche ich den verdienten Erfolg und Ihnen liebe Zuhörer viel Freude beim Betrachten der bemerkenswerten und begeisternden Photos.